Zu den Farbadjektiven im Werk Trakls

Achim Beutner (2008)

Im folgenden werden einige Aspekte zum Gebrauch der Farbadjektive bei Georg Trakl herausgearbeitet. Untersucht wurden die beiden Gedichtsammlungen "Gedichte" (1913) und "Sebastian im Traum" (1915, postum).

Zum Einstieg hier ein Vergleich der jeweils zehn höchstfrequenten Adjektive aus beiden Werken:

Sofort in die Augen fällt, daß für den Autor die Adjektive "dunkel", "purpurn", "silbern", "still" und "grün" offenbar in dem späteren Werk ("Sebastian im Traum") an Bedeutung erheblich gewinnen, während andere, wie "leise", "blau", "schwarz", in etwa konstant bleiben.
Von diesem Ergebnis her ließen sich, auch unter Zuhilfenahme des Konkordanzprogramms, wiederum vielfältige Wort- und Kontextlisten zusammenstellen, die u. U. einen Einblick in die Werkstatt des Dichters geben könnten.

Daß Farbadjektive im Werk Trakls eine bedeutende Rolle spielen, ist für jeden Leser offensichtlich, was in der Forschung auch die entsprechende Beachtung gefunden hat. Wenn auch ein nahezu hybrider Gebrauch von "blau", "rot" etc. für die Traklsche Dichtung spezifisch ist, so steht Trakl doch, im Kontext des Expressionismus – zu dem er zumindest in dieser Hinsicht zu zählen ist – damit keineswegs allein.

Nachstehende Tabelle zeigt die quantitative Entwicklung der wichtigsten Traklschen Farbadjektive:

Anteil der Farbadjektive an der Gesamtzahl der Adjektive:

  Adjektive insgesamt Farbadjektive %
Sammlung 1909  471  14 2,97
Gedichte  902 181 20,07
Sebastian im Traum 1211 288 23,78

Deutlich zu erkennen ist der eklatante Unterschied zwischen dem Frühwerk (Sammlung 1909), in dem die Farbadjektive eine quantité negliable darstellen, und den späteren Gedichten. Trakl selbst hat sich von seinem Frühwerk distanziert und in einem Brief an einen Freund von seiner "heiß errungenen Manier" gesprochen, "vier Strophenzeilen, vier einzelne Bildteile zu einem einzigen Eindruck" zusammenzuschmieden, eine Technik, die in der Literaturwissenschaft als (expressionistischer) "Reihenstil" geführt wird. Ein von Trakls Selbstaussage unbeeinflußter Beobachter kommt aber leicht zu dem Ergebnis, daß die "heiß errungene Manier" weniger in der Anwendung des sog. Reihenstils besteht, als in einer Änderung des Vokabulars. (Dies betrifft nicht nur die an dieser Stelle dargestellten Farbadjektive, sondern auch den Wortschatz insgesamt, wie mit Hilfe von di-lemmata leicht nachgewiesen werden kann.)

Im Spätwerk, also in "Sebastian im Traum", ist, so könnte man es drastisch ausdrücken, kein Substantiv vor einer Charakterisierung durch ein Farbadjektiv sicher. In den Gedichtgruppen "Gedichte" und "Sebastian im Traum", also den von Trakl selbst besorgten und von ihm als gültig angesehenen Ausgaben, steht in jedem Gedicht mindestens ein Farbadjektiv; man wird also von einem konstitutiven Element der Traklschen Spätlyrik sprechen können.

Um den Gebrauch der Farbadjektive ein wenig näher zu beleuchten, entwerfen wir eine Gliederung der möglichen Zusammenstellungen von Farbadjektiv und Substantiv. Wir unterscheiden folgende Substantive:

1. Konkreta

Diese sind abhängig von der sinnlich wahrnehmbaren Realität und von der Lebenswelt. Hierbei unterscheiden wir zwischen

a) Gegenständen, d. h. von Menschen hergestellten Dingen

Beispiel: das grüne Kleid, die rote Tischlampe

Diese Gegenstände können mit jedem Farbadjektiv verbunden werden, da zwar die Vorstellungskraft strapaziert, aber nicht die Denkbarkeit überschritten wird.

b) natürlichen Objekten

Beispiel: der weiße Strand

Die natürlichen Objekte sind selbstredend, was die Möglichkeiten ihrer Charakterisierung durch Farben angeht, beschränkt auf eben die in der Erscheinungswelt zu Tage tretenden. Allerdings gibt es in dieser Gruppe fließende Übergänge, also eine Bandbreite von Variationen. Die Verbindung von "unmöglichen" Farbadjektiven mit dieser Art von Konkreta – zum Beispiel Paul Celans berühmte "schwarze Milch" – muß offensichtlich als Metapher angesehen werden.

2. Abstrakta

a) In Verbindung mit Abstrakta treten Farbadjektive in der nichtpoetischen Sprache (wenn auch unter Umständen aus der poetischen Sprache kommend) nur in konventionalisierten Formen (verblaßten Metaphern) auf, wie zum Beispiel "graue Theorie", "blauer Montag" etc. Oft sind Ausdrücke dieser Art schon durch den Symbolwert einiger Farbadjektive, vor allem "schwarz" und "weiß" gewissermaßen vorgegeben, wie "weißer Sonntag", "schwarze Gedanken". An dieser Stelle mag auch gerade hinsichtlich der beiden letzteren, "schwarz" und "weiß", auf eine inhärente Symbolik dieser Farben verwiesen werden, von der innerhalb einer Kultur- oder Lebenswelt sich zu lösen, also zu abstrahieren, unserer Auffassung nach nicht leicht fiele; so ist etwa in den USA "gelb" die Farbe der Hoffnung. Auch die politische Symbolik der Farben ist alltäglicher Bestandteil der nichtpoetischen Sprache und kann durchaus zu Neuerungen führen, wie zum Beispiel eine "grüne Zukunft".

b) Jede Verbindung von Farbadjektiven mit Abstrakta über a) hinaus nehmen wir als Chiffre.
Wir benutzen hier den Begriff Chiffre, um damit den Begriff der "kühnen Metapher" zu vermeiden. Jede Metapher beruht wesentlich auf einer Analogie, ist aber eine solche Analogie nicht sichtbar, das heißt, nicht nachvollziehbar, so kann man füglich nicht von einer Metapher sprechen.

Es versteht sich, daß es auch in dieser Kategorisierung Übergänge gibt, da allein eine exakte Abgrenzung von Konkreta und Abstrakta schwierig sein dürfte und das bloße "Lexem", zumal kontextfrei, beiden Gruppen angehören kann. So ist etwa die (bei Trakl häufiger vorkommende) "blaue Blume" der Romantik schon längst zu einem Symbol verwachsen, in dem zwar beide Teile auf ihre Herkunft verweisen, aber ganz als Abstrakta genommen werden müssen.

Um den Rahmen dieser Einführung nicht zu sprengen, beschränken wir uns auf die Verteilung des Adjektivs "blau" auf die genannten Gruppen. Das Farbadjektiv "blau" tritt als Attribut zu folgenden Substantiven:

1. Konkreta
a) Gegenstände b) natürliche Dinge
Band
Bilder
Gewand (2)
Glocken
Kahn
Kugeln
Mantel (4)
Panzer (Kriegers)
Räumen
Schleiern
Tabernakel
Zimmern
Antlitz
Augen (4)
Bach
Blume (10)
Brauen (2)
Falter
Farben (2)
Firne (3)
Fluß (3)
Früchte
Gebirge
Grunde
Höhle (2)
Kalvarienhügel
Kristall
Kuppeln (Himmelweiten)
Lider (3)
Luft (2)
Quell (7)
Schatten (2)
Schleim
Seen
Tauben
Teich (2)
Tier (2)
Wasser (5)
Wild (6)
Woge
Wolke
2. Abstrakta
a) symbolisch, konventionell b) Metapher, Chiffre
Glanz
Frühling
Abend (6)
Augenblick
Gestalt (Menschen)
Klage
Kühle
Lachen (2)
Nacht
Odem
Orgelgeleier
Seele (2)
Stille (4)
Stimme
Ton

Trakl verbindet 56 verschiedene Lexeme mit dem Farbadjektiv "blau", davon erscheinen uns allein 19 (fett hervorgehoben) metaphorisch, oder sagen wir vorsichtiger, in einem unkonventionellen Sinn gebraucht zu sein. Schon dieser schlichte Befund mag an allen Aussagen über die Bedeutung des Farbadjektivs "blau" bei Trakl gewisse Zweifel hervorrufen.

Vergleichen wir zur Erläuterung zwei Textstellen:

a) O wie stille ein Gang den blauen Fluß hinab
Vergessenes sinnend, da im grünen Geäst
Die Drossel ein Fremdes in den Untergang rief.

b) Jener aber ging die steinernen Stufen des Mönchsbergs hinab,
Ein blaues Lächeln im Antlitz und seltsam verpuppt
In seine stillere Kindheit und starb;

Es ist wohl kaum eine kühne Behauptung zu unterstellen, daß der "blaue Fluß" in Beispiel a) von einem Leser anders rezipiert wird als das "blaue Lächeln" in b). Nichts ist selbstverständlicher (wenn wir hier ökologische Hinsichten außer Acht lassen) als ein "blauer Fluß", ja, diese Zusammenstellung ist derart konventionell und "natürlich", daß sie beinahe als überflüssig gelten könnte; kaum vorstellbar also, daß ein Leser an dieser Stelle innehielte und mit einem Stutzen seiner Verwunderung Ausdruck verliehe. Ganz anders, versteht sich, widerfährt es dem Leser, wenn er auf das "blaue Lächeln" stößt. Nicht das Ungewöhnliche an der Formulierung allein ist es (viele heute "selbstverständliche" Metaphern waren bei ihrem ersten Auftauchen "ungewöhnlich"), ja man kann sagen, daß ein sozusagen professioneller Leser von Lyrik geradezu erwartet, auf ungewöhnliche, neue sprachliche Ausdrücke zu stoßen, die gleichsam den Katalog seiner Sichtweisen auf die Welt bereichern. Nein, das Irritierende an dem "blauen Lächeln" ist, daß er keine Verbindung zwischen "blau" und "Lächeln" herzustellen vermag. Goethes berühmte "graue Theorie" in Opposition zum "grünen Baum des Lebens" ist als Metapher sofort einsichtig, da die Analogien leicht abgeleitet werden können. Anders bei Trakls "blauem Lächeln"; man findet kein Analogon in der eigenen Erfahrungs- und Sprachwelt. So, wie der Leser die Verbindung von "blau" und "Fluß" (schon fast überlesend, so unauffällig ist sie) aufgrund seiner Erfahrung von Welt und Sprache schlicht sanktioniert, tritt Trakls "blaues Lächeln" gleichsam in einen Widerspruch zu dieser Welt- und Spracherfahrung. Der Leser ist verstört, irritiert. Ausgehend nun von der Prämisse, daß der Verfasser seine Worte bewußt gesetzt hat (über diese Prämisse allerdings läßt sich trefflich streiten), sucht der Leser nach einer "Erklärung", einer "Begründung". Hier - in der Irritation des Lesers - liegt (unseres Erachtens) der Beginn jeder Interpretation oder Deutung von ästhetischen Produkten und selbstverständlich auch jene Vielfalt von Ansichten, die man als "Lesarten-Pluralismus" bezeichnet hat. Ein Folge übrigens dieser Irritation an einer solchen "kühnen Metapher" oder "Chiffre" bei Trakl ist der Schluß, den Literaturwissenschaftler, also Experten der Sache, zuweilen ziehen, daß das Farbadjetiv "blau" (in unserem Beispiel) überhaupt eine besondere Wertigkeit in Trakls Werk haben müßte. Dies allerdings scheint uns, wie ausgeführt, eher fraglich oder bedarf zumindest einer genaueren Analyse, deren Belegbasis durch di-lemmata schnell und vollständig beigebracht werden kann.

Aus dem dargelegten Befund zum Gebrauch des Adjektivs "blau" lassen sich leicht weitere Fragestellungen ableiten, von denen eine hier nur kurz angedeutet werden soll. So kann man zum Beispiel sich die Frage vorlegen, welche anderen Attribute ein bestimmtes mit "blau" spezifiziertes Substantiv noch mit sich führt. Die folgende Liste zeigt dies am Beispiel des Substantivs "Schatten":

Wiederum erkennen wir, daß neben konventionellen Verbindungen, wie "schwarze Schatten" (auf der gleichen semantischen Ebene wie der "blaue Fluß" liegend), sich abermals ungewöhnliche, ja nahezu erratische Attributierungen finden, etwa "mondverschlungene", "gramvolle" Schatten. Diese Beleglage könnte, wie leicht einzusehen ist, der Ausgangspunkt einer umfangreichen Erörterung der Traklschen "Nominalphrasen" überhaupt sein.